Isabella Fürnkäs | Marcel Hiller | Tom Król | Anna Virnich
Ausstellungsansicht Madeleine-Effekt, Orangerie Schloss Benrath, 06.-20- März 2022. © Mareike Tocha
Ein Duft, eine Farbe, ein Stoff, ein Strich - oder dieser eine Geschmack. „Der Geschmack war der jenes kleinen Stücks Madeleine“ (Marcel Proust), welches in Lindenblütentee getunkt zum Auslöser wird, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. Ein Moment, der zum Katalysator wird und eine verblasst geglaubte Erinnerung wieder in Farbe taucht. Von jetzt auf gleich kann sie zurückkehren, präsent, berührend, unsere Gegenwart beherrschen. Sie kann uns schwelgen lassen in Träumereien, sie trägt uns durch die Zeit an andere Orte. So formt unser Erfahrungsspeicher unser Jetzt. Das kleine Gebäckstück mit seiner katalysatorischen Wirkung aus dem siebenteiligen Opus Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist Titelgeber für die Ausstellung. Oberflächen, Materialien, Gerüche kreieren die Grundlage für Assoziationen, sie bieten vielschichtige Annäherung an die eigene intrinsische Auseinandersetzung mit der Erinnerung selbst. Die Künstler*innen Isabella Fürnkäs, Marcel Hiller, Tom Król und Anna Virnich schaffen in ihren Arbeiten Erinnerungsstrukturen in ihrem Facettenreichtum.
Die Erinnerung, das Vergangene und die Bewegung durch die Zeit sind zentrale Aspekte im Œuvre von Isabella Fürnkäs (geb. 1988 Tokyo, Japan). In ihren Werken verhandelt sie Themen wie Körperlichkeit, Intimität und Selbstwahrnehmung sowie Entfremdung und Kommunikationsmuster. Um diese Themen zu adressieren, verwendet sie zahlreiche Medien, die von Zeichnungen, Sprache und Gesten über Sound- und Videoarbeiten hin zu Performances und Rauminstallationen reichen. Ein narratives Moment zieht sich durch ihr Werk und schafft einen Sprachfluss, ohne immer Sprache sein zu müssen, aber immer mit der Möglichkeit zur Sprache. So vereinen sich in ihren Zeichnungen Worte und Bilder, als „eine Art Schlüssel zu einer Bedeutungsebene, die das Unterbewußte versteckt hält.“(IF) In ihrer Skulpturengruppe Unpredictable Liars, die sie seit 2017 konstant weiterentwickelt, schafft sie ein übermenschengroßes Gegenüber. Der Stoff ist für Fürnkäs ähnlich wie Papier und findet seit ihrem Studium immer wieder Einzug in ihre Werke. Ihr Interesse gilt der Verhüllung und der Frage: was kreiert Persönlichkeit?
Marcel Hiller (geb. 1982, Potsdam) konterkariert in seinen Arbeiten unterschwellig verschiedene Erinnerungsspuren einer ostdeutschen Infrastruktur. In einer Mischung aus collagierten Bildern und Readymades entwickelt er umfassende Erfahrungsräume, die sich aus einem vermeintlich kollektiven Gedächtnis speisen. Hier verhandelt Hiller Einflüsse zwischen Werbung, Alltagsleben und psychophysischer Materialitäten. Im Zwischenspiel aus Collage und Raumerfahrung werden unter anderem Exportwege sowie Eigen- und Fremdwirkungen betrachtet und seziert. Schwarz-Weiß-Fotografien ohne eindeutige Zuordnung ihres Ursprungs oder Inhalts formieren sich aus visuellem Werbematerial, privaten Fotoarchivalien oder politisch gerichteten Bilderzeugnissen und rücken in ihrem Zusammenspiel Vergangenes in einen zeitgenössischen Diskurs. Bunte Sonnenliegen, bedruckt mit Schlauchbootmotiven, führen ihre eigene inkorporierte Geschichte symbolstark oder gar ikonisch mit sich. Wenngleich eine Sonnenliege die Leichtigkeit eines Campingurlaubs zu transportieren scheint, erinnert das Motiv, mit Blick auf Flucht und Unterdrückung, an weniger glückliche Tage. In Konfrontation mit einer kanonisch erinnerten Vergangenheit, fordert Hiller die Betrachtenden auf, ihre Perspektive auf das Gegenwärtige kritisch zu hinterfragen und bietet dabei vielschichtige Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit kollektiven Erinnerungsstrukturen.
Übereinander, untereinander, nebeneinander – aus feinen Linien und intensiven Farbflächen erheben sich Formen und Strukturen, entwachsen den Malereien Tom Króls (geb. 1991, Köln) schräge Köpfe und eindringlich-malerische Konstruktionen. In der Aufschichtung und Verdichtung staffelt Król auf der Leinwand Ebene um Ebene und verweist dabei auf den Malprozess selbst. Seine dekonstruierten Farbassemblagen sind angefüttert mit Erinnerungen des Alltags, Begegnungen und Bildern gesammelt über Tage, Wochen und Monate. Im Gegenüber tauchen die Betrachtenden in die Oberfläche ein, erkennen wieder, verwerfen und versuchen zu erinnern. Niemals statisch bieten diese fragmentarischen Gegenspieler so einen Korrespondenzpunkt, sich dem eigenen persönlichen Bildgedächtnis seines Erinnerungsarchivs zu nähern in der Auseinandersetzung mit dem Selbst.
Anna Virnich (geb. 1984, Berlin) komponiert ihre Arbeiten aus einem Fundus an Textilien: Seide, Palletten, Leder. Gefundene und neue Stoffstücke werden zu komplexen und feinfühligen Kompositionen konstruiert, die so über die Grenzen eines klassischen Gemäldes hinauswachsen. Der Holzrahmen bildet das Gerüst, welches den Stoff trägt und ihm erlaubt ein filigranes Farb- und Oberflächenspiel zu kreieren. Virnichs Arbeiten schaffen ein sensibles Spannungsmoment, sie diskutieren das „Dazwischen“, das „Davor“ und das „Dahinter“ gleichermaßen. Jeder Lichteinfall, jeder neue Blickwinkel schafft eine weitere Ebene, eine andersartige Perspektive. Ihr Einsatz von alltäglichen Materialien wie Leder und Wachs schafft außerdem eine feine Geruchschoreographie. Unterschwellig wabern die Duftnoten durch den Raum, lassen die Betrachtenden innehalten. In der Erinnerungsforschung wird der Geruchssinn als einer der vordergründigen verstanden, der unmittelbar und direkt vergangene Gefühlszustände ins Bewusstsein zurückruft.
In einer Zeit, in der uns ein Krieg in Europa entsetzt, in der eine weltweite Pandemie die Menschen vor existentielle Probleme stellt, in der es trotz allem immer höher, schneller und weiter gehen soll, in der gesellschaftliches, soziales und kulturelles Erbe voller Konflikte ist, wird die Erinnerung an „bessere Tage“ beschworen. Sehnsüchtig werden Traditionen gepflegt. Allgegenwärtig und essentiell werden eigene und kollektive Erinnerung zum zentralen Sujet. Das Ausstellungskonzept soll die Besucher*innen dort abholen, wo sie selbst einen Trigger benötigen, um ihre eigenen Erinnerungen anzuregen, einen Auslöser, der in ihnen eine Empfindung, einen Affekt hervorruft.
Begleitend dient die kollaborative und sehr persönliche Publikation als Gedankenstütze der Künstler*innen, sie wird zum Tagebuch, zum Erinnerungsarchiv.
© Bilder: Mareike Tocha
Bilder der Ausstellungseröffnung am 6. März 2022
Beate Werthschulte: Der Geruch der Erinnerung, in: Rheinische Post vom 7.3.2022
Martin Denker | Alex Grein | Regine Schumann | Angelika J. Trojnarski
Ausstellungsansicht LichtBild, Orangerie Schloss Benrath, 01.-15- März 2020. © Martin Denker
„Lolita, vergiss Orangen und Datteln, der Mensch lebt nicht von Brot allein.“
Mit ihrem andere Blick durch bzw. mit der Fotolinse hinterfragt Alex Grein ihre Umgebung – untersucht und dokumentiert sie, beschreibt sie neu. Alex Greins gleichnamiger Arbeit zu entnehmen – die Orange. Sie soll uns als Vorwort für die Ausstellung LichtBild dienen.
Die Buchrücken beschreiben einen Satz und werden gleichsam zu einer graphischen Rhythmik – einer Struktur, die das Buch aus seinem ursprünglichen Inhalt enthebt und in einen neuen Kontext überführt. Neue Blickwinkel schaffen – ein immer Wiederkehrendes. Die Düsseldorfer Künstlerin, die bei Andreas Gursky studierte, schafft Perspektivwechsel. So fotografiert sie Miniaturobjekte auf der Oberfläche ihres IPhones ab, auf dessen Screen ein Bild eines Zimmers aufleuchtet. Die Objekte scheinen in einem suggerierten Raum zu schweben. Gestochen scharf verweilen sie, freien ohne jeglichen Bezug. Feine Schlieren, flirrende Farben, körnige Kanten – die Oberfläche des Handy Screens, durch Fingerabdrücke bearbeitet, erhält ihm fotografischen Bild eine eigene Oberflächenstruktur im Detail. Im Eingriff in die architektonische Rhythmik des Raumes, im Aufgreifen von Ornamentik und Dekor entstanden die jüngsten Arbeiten, die eigens für die Räume der Orangerie entwickelt wurden. Eine Wand vor einer Wand - ein Versperren des Blicks – ein Neubeschreiben des architektonischen Gefüges. Alex Grein greift mittels ihrer Kamera in den Ausstellungsort ein. Die starre Ornamentik der Orangerie in ihrer massigen Materialität überträgt sie auf die zweidimensionale Fläche und positioniert sie gleichsam neu.
Fluoreszenz, ein Phänomen, welches in der Natur beispielsweise bei Mineralien oder Tieren auftritt, beschreibt die spontane Emission von Licht kurz nach der Anregung eines Materials. Regine Schumans Medium ist das Licht – es modelliert, verändert und umfängt ihre Skulpturen. Ihre farbigen Acrylglaskörper erfahren, angeregt durch die gegebenen Lichtverhältnisse, eine konkrete Präsenz. Im Zusammentreffen verschieden Farbflächen verschwimmen die Grenzen, überlagern sich die Zustände und bilden sich neue Erfahrungsräume. Das fluoreszierende Material verstärkt den ausgeübten Einfluss des Lichtes. Durchdrungen von Farbe strahlen die Körper in ihre Umgebung aus. Schumans Skulpturen werden somit zu Leuchtobjekten, die mittels ihrer Strahlkraft das „Raumklima“ beeinflussen.
Spricht man in den Anfängen der Fotografie von Lichtmalerei oder wie in dieser Ausstellung angeregt, von Lichtbildern, trifft diese Beschreibung auch auf die Arbeiten von Angelika J. Trojnarski zu – jedoch ganz analog, ohne fotografische Apparatur. Fasziniert von Naturschauspielen wie Polarlichtern, Supernovä oder Wetterleuchten ist das Sujet Licht fest in ihrem Werk verankert. Vielmehr, die Sonne ist aktiver Initiator ihrer Arbeiten auf Papier. Equinox ist ein „Work in Progress“ – das Licht schreibt sich im Laufe der Ausstellung in das Werk ein, bleicht das Papier und hebt am Ende einen abgedeckten Bereich dunkler hervor. Im Titel verweist Trojnarski auf die aktuelle Sternenkonstellation der immer näher rückenden Tag-Nacht-Gleiche am 21. März hin, welche motivisch ebenfalls im Werk eingeschrieben ist. Mit Chemikalien bearbeitet sie die farbigen Papiere, schafft spontane Farbverläufe und malerische Strukturen die zwischen Mikro- und Makroaufnahmen, zwischen nah und fern stehen. Saturnringe, Schallwellen, Zellbewegung oder Sonnenstürme – Angelika J. Trojnarskis Arbeiten bewegen sich an der Schnittstelle des aktiven Sehens. Sie heben hervor und hinterfragen doch alles.
„Instabilität ist der Punkt der höchsten Sensibilität.“ Martin Denker stellt sich in seinen Arbeiten dem Chaos. Weiche Linien ziehen sich schwungvoll über die Leinwand, ungeordnet und doch harmonisch. In der Unberechenbarkeit der Bewegung eines Tripendulum, besser bekannt als Chaospendel, hält er die Bewegung mittels angebrachter Leuchtdioden fest. Das Licht wird zum Bleistift, zum Pinsel, welches mittels einer fotografischen Aufnahme als unvorhersehbares Moment auf der Leinwand festgehalten wird. Dieses Moment ist Platzhalter für das Ungleichgewicht, ein nervöses System im Blick auf die moderne Welt. Mittels des Apparates bündelt Denker die Informationen in der „Raum durch Zeit differiert“ und schafft einen übergeordneten Dialog und ein Sinnbild für seine Auseinandersetzung der Hinterfragung des Zeitgeschehens. Demnach versteht er die Welt wie folgt: „Der vernetzte Mensch, der gewissermaßen mit ALLEM synchron im Dialog und in Verbindung steht, erfährt die Welt nicht mehr linear, sondern chaotisch. (...) Unsere Wahrnehmung entspricht (also) der des Pendels.“
Die Ausstellung LichtBild soll frei von vorgefestigten Denkstrukturen zum Sujet und Medium Licht sein und in die unterschiedlichen Ansätze der künstlerischen Positionen einführen.
© Images: Martin Denker