NEUER FRÜHLING 2021
EVA-MARIE FRINGS EMPFIEHLT
Anständiges Sonett
Schreib doch mal
ein anständiges Sonett
St.H.
Komm beiß dich fest ich halte nichts
vom Nippen. Dreimal am Anfang küss
mich wo's gut tut. Miss
mich von Mund zu Mund. Mal angesichts
der Augen mir Ringe um
und lass mich springen unter
der Hand in deine. Zeig mir wie's drunter
geht und drüber. Ich schreie ich bin stumm.
Bleib bei mir. Warte. Ich komm wieder
zu mir zu dir dann auch
>ganz wie ein Kehrreim schöner alter Lieder<.
Verreib die Sonnenkringel auf dem Bauch
mir ein und allemal. Die Lider
halt mir offen. Die Lippen auch.
(Ulla Hahn, aus: "Wiederworte. Gedichte")
Mir gefällt das Gedicht, weil es eine unverstellte, fröhliche Sinnlichkeit versprüht, die weder in meiner Jugend noch heute de facto selbstverständlich war und ist. Dabei stellt es mit der Zeile "ganz wie ein Kehrreim schöner alter Lieder" eine Verbindung zu altem in Verse gesetztem Wissen über Liebe und Erotik her, das ua im Hohen Lied der Bibel, in den Minnegesängen des Mittelalters und den Shakespearschen Sonetten zum Ausdruck kommt. Und in diesen Coronazeiten können wir etwas Unbeschwertheit sicher gut gebrauchen.